What if… Swatch?
Ich wollte sie bestellen. Natürlich. Die neue Swatch mit dem kryptischen Namen "WHAT IF... TARIFFS?" war keine Uhr wie jede andere. Sondern ein Zeichen unserer Zeit – nebst der Funktion, die Zeit zu zeigen.
Ein genialer Move: Die Uhr dreht (im wahrsten Sinne) an den Ziffern 3 und 9 – als Anspielung auf die 39 % US-Zölle, die auf Schweizer Uhren erhoben werden. Ein Prozentzeichen auf der Batterieabdeckung, ein provokativer Name, ein limitierter Drop – exklusiv in der Schweiz verkauft, um nicht selbst Opfer der Zölle zu werden. Und: innert Stunden ausverkauft.
Ich wollte also eine. Und erhielt den dezenten Hinweis: "Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein." Meine Adresse? mk@mosaik.partners. Offenbar nicht gültig genug für Swatch. Willkommen im Alltag der Markenwelt 2025: Grosse Worte. Kleine Fehler. Und dazwischen die eigentliche Botschaft.
Diese Uhr ist mehr als ein Zeitmesser. Sie ist ein Spiegel. Eine Erinnerung daran, was möglich ist, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern. Während viele Unternehmen jammern, klagen oder politische Briefe aufsetzen, hat Swatch einfach eine Uhr gemacht. Eine, die sich selbst nicht ganz ernst nimmt – und dabei eine ganze Industrie blossstellt.
Der Name Swatch steht für eine Revolution. In den 1980er Jahren war es Nicolas G. Hayek, der mit Plastik, Pop und Preisbewusstsein die Schweizer Uhrenindustrie neu erfand. Die Swatch war bunt, frech, günstig – und erfolgreich. Ein Aufbäumen gegen japanische Quarzwerke und langweilige Luxusuhren. Und nun, Jahrzehnte später, wieder ein Aufblitzen.
Swatch ist in den letzten Jahren leise geworden. Von der disruptiven Kraft der Hayek-Ära war wenig zu spüren. Doch mit der Zoll-Uhr ist wieder etwas aufgetaucht: Charakter. Provokation. Seblstbewusstsein.
Die Reaktion der Wirtschaft auf Probleme wie Strafzölle ist oft vorhersehbar: Schuld ist die Politik. Das Klima. Die Bürokratie. Die Konkurrenz. Der Kunde. Hauptsache, man selbst nicht. Der Reflex: Jammern statt gestalten. Und ja – Konsumenten wollen den besten Preis, Investoren schnelle Rendite, Unternehmen stabile Margen.
Doch dieser Reflex ist die eigentliche Krise. Denn er ist Ausdruck einer kollektiven Müdigkeit. Einer Einfallslosigkeit, die Marken beliebig macht. Wer sich über Rahmenbedingungen beklagt, ohne kreativ zu reagieren, gibt das Heft aus der Hand.
Swatch hat – wenn auch nur für einen Moment – gezeigt, wie man es anders machen kann. Die Uhr war innert Stunden vergriffen.
Wie viele Stück produziert wurden? Das hält Swatch offiziell unter Verschluss. Klar ist: Sie war ausschliesslich in der Schweiz erhältlich, limitiert – und am ersten Tag vielerorts ausverkauft. Die Nachfrage war so gross, dass mittlerweile eine zweite Produktionswelle geplant ist. Interessierte können sich benachrichtigen lassen – wenn ihre E-Mail-Adresse anerkannt wird. Zwei Dinge bleiben bei mir hängen:
Nach Jahren wieder einmal ein Aufblitzen von Swatch. Und: dass meine Mailadresse nicht gültig sei. Beides sinnbildlich für die Markenwelt von heute: Brillanz trifft auf Banalität. Dabei ist es gerade in Zeiten wie diesen entscheidend, präsent und sichtbar zu sein. Marken, die heute im Einheitsbrei untergehen, hatten selten ein Problem mit ihrer Website. Sondern mit ihrer Identität.
Die Moral von der Geschichte
Alle sprechen von KI. Von Disruption. Von der Zukunft. Doch oft scheitert Relevanz nicht an der Technologie, sondern an der Trägheit im Kleinen. An Formularen, die nicht funktionieren. An Prozessen, die keiner liebt. An Entscheidungen, die niemand trifft.
Meine Empfehlung an Swatch – und an alle, die sich betroffen fühlen: Wer im Markt seine eigenen Wege gehen will, braucht einen langen Schnauf. Und vor allem eins: Ein starkes Selbstverständnis. Nur wer weiss, wer er ist, kann in Krisen agieren. Und die eigene Geschichte immer wieder neu erzählen – wenn's sein muss, auch als Uhr.
What if… that becomes normal?