Wenn Markenversprechen zur Farce werden und Marken sich selbst in die Bedeutungslosigkeit manövrieren
Wir überlegen uns im Rahmen der Gäste-Experience im Hotel Schwendi, wie Mobilität in der Region angenehm, überraschend und gleichzeitig stilvoll gestaltet werden kann. Die Idee: Ein Microlino als sympathischer Begleiter für kleine Ausflüge, ein Abendessen in der näheren Umgebung oder einfach ein spontaner Ausflug mit viel Charme. Unkonventionell, urban, fast ein bisschen ironisch.
Also haben wir eine Probefahrt gebucht. Online bei Microlino – einfach, schnell, funktional. Wenige Klicks später war der Termin fixiert. Vertretung vor Ort: amag. Ein Autohandelskonzern, bei dem man wohl mit Fug und Recht das Wort „renommiert“ verwenden darf.
Wir kamen ohne Erwartungen – und genau diese wurden erfüllt. Die zuständige Mitarbeiterin erschien tout juste auf den vereinbarten Termin - ihr Desk war zuvor leer und auch sonst schienen die Mitarbeitenden mit sich selbst beschäftigt. Kurz: kein grosses Tamtam, kein „Wow“-Moment, aber freundlich, korrekt, mit dem üblichen Prozedere: Ausweis zeigen, Adresse notieren. Dann der Moment, in dem unser leichtes Schmunzeln beim Anblick des Microlino ihr ein kleines Lächeln entlockte – ein kurzer, ehrlicher Moment der Verbindung. Danach eine Blitzinstruktion, ein paar technisch notwendige Hinweise, freundlich, aber ohne Gefühl – und schon verschwand sie. Offenbar wartete der nächste Task.
Uns war das recht. Wir durften unbeobachtet den Microlino entdecken – ein Gefährt, das vor allem durch seinen Humor besticht. Wer ihn fährt, wird angeschaut. Wer ihm begegnet, beginnt zu lächeln. Ein rollender Eiswürfel mit Augenzwinkern.
Doch was danach kam, war bei weitem absurder als die Fahrt selbst.
Wir kamen zurück. Kein Mensch zu sehen. Ein anderer amag-Mitarbeiter erklärte höflich, dass er nichts über das Fahrzeug wisse, nahm den Schlüssel entgegen – und das war’s. Kein Nachfragen, kein Gespräch, keine Einladung, keine Neugier.
Immerhin fanden wir eine Visitenkarte am verlassenen Desk. Und diese sollte zum Wendepunkt in unserer Geschichte werden.
Denn wir waren interessiert. Die Fahrt hatte überzeugt. Ein Leasing-Angebot für unser Hotel? Warum nicht. Also rief ich an. Die angegebene Direktnummer klingelte – endlos. Dann die typisch perfekte Männerstimme mit Bühnendeutsch auf dem Beantworter: Man könne etwas sagen, oder dranbleiben. Nur: Niemand nahm ab. Ich blieb 2 Minuten dran, dann gab ich auf.
Noch skurriler: Das einzige Mail nach der Fahrt war automatisiert, die enthaltenen Links führten teilweise ins Nichts. Eine 404-Fehlermeldung, so gross wie mein Frust.
Und dann fiel mein Blick nochmals auf die Visitenkarte.
„Product Genius“ stand da. Nicht Kundenberaterin, nicht Automobil-Fachperson. Sondern: Product Genius.
Und plötzlich kippte meine Haltung von erwartungsfrei in ernüchtert. Was als Standard-Prozess ohne Enttäuschung begann, fühlte sich jetzt wie ein leeres Markenversprechen an. Denn diese Mitarbeiterin hat nichts falsch gemacht. Gar nichts. Sie war freundlich, korrekt, effizient. Alles, was man erwarten darf – aber nichts, was einem „Product Genius“ gerecht wird.
Der Fehler liegt nicht bei ihr, sondern bei jenen, die diesen Titel auf ihre Visitenkarte gedruckt haben. Bei jenen, die sich eine Markenwelt mit durchdeklinierten Werten, cleverem Recruiting, stylischen Rollenbeschreibungen und moderner HR-Prozesse gebaut haben – aber im Alltag genau nicht liefern.
Denn wer eine Rolle wie Product Genius etabliert, muss dafür sorgen, dass diese auch mit Genialität ausgefüllt wird – oder schweigt besser. In diesem Fall wurde ein Versprechen gemacht, das nicht einmal im Ansatz eingelöst wurde. Kein Follow-up. Kein Beziehungsaufbau. Kein Angebot. Keine Transition von Interesse zu Kauf.
Kein Geschäft.
Und das ist das eigentliche Desaster – nicht für uns, sondern für die amag und für Microlino. Denn wir wären bereit gewesen. Wir wollten. Aber wir wurden nicht gefragt. Nicht eingeladen. Nicht abgeholt. Wir wurden – verwaltet.
Ein Lehrstück, wie Markenführung nicht funktioniert. Wie ambitionierte Begriffe auf Visitenkarten zu Brand Damage führen, wenn sie nicht mit Leben gefüllt werden. Und wie Kundenerlebnisse an der Diskrepanz zwischen Anspruch und gelebter Realität zerschellen.
Liebe amag, liebe Markenverantwortliche, ihr habt eure Hausaufgaben gemacht:
• Leitbild? Check.
• Werte? Check.
• Rollen? Check.
• HR-Prozesse? Check.
• Branding? Check.
• Moderne UX? Check.
Aber Kundenerlebnis? Leider nein. Nicht auf Augenhöhe. Nicht mit Herz. Nicht mit Weitsicht.
Ein Vorschlag: Lernt von Rufibach Schäppi. Dort ist Kundenerlebnis keine Aufgabe, sondern Identität. Keine Schulung, sondern Haltung. Und genau das spürt man. Ohne Rolle auf der Visitenkarte. Aber mit Wirkung.