Markenidentität ohne Illusionen
Werbung ist eine mächtige Sprache, die Marken nutzen, um unsere Vorstellungskraft zu fesseln. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die neue Kampagne von Ochsner Sport, „Unsere Berge - niemand fordert uns mehr.“ Die Kampagne berührt auf wundersame Weise – mystisch und poetisch führt sie uns in eine Welt der Natur und Kraft, die fast etwas Unnahbares verspricht. Diese visuelle und emotionale Kraft der Kampagne wirkt wie ein Versprechen, das die Marke in eine neue Dimension heben könnte. Aber was passiert, wenn diese imaginäre Welt mit der Realität im Laden kollidiert?
Der sogenannte Ad vs. Reality Gap beschreibt die Differenz zwischen dem, was Werbung uns verspricht, und dem, was wir tatsächlich erleben. Wer die poetischen Höhen von „Unsere Berge - niemand fordert uns mehr“ vor Augen hat und anschliessend eine Ochsner Sport Filiale betritt, mag sich im Unterbewusstsein auf eine besondere Atmosphäre einstellen. Doch in vielen Fällen verfliegt diese Erwartung im Angesicht eines ordentlichen aber dennoch „gewöhnlichen“ Sportladens, dessen Schwerpunkt auf der Produktauswahl und nicht auf einer epischen Erlebniswelt liegt. Noch wackliger wird es, wenn die Bedienung nicht für diese mit diesem Werbefilm aufgeladene Atmosphäre geschult ist. Die Fassade blättert nur so ab und die Kunden kaufen beim nächsten Mal aufgrund des guten Preises, ohne Erinnerung an ein einzigartiges Markenerlebnis.
Warum entsteht diese Diskrepanz? Eine Marke lebt nicht nur von einem grossartigen Werbespot oder einem schicken neuen Logo. Sie lebt davon, dass das Erlebnis, die Werte und die Philosophie einer Marke in jedem Berührungspunkt erlebbar und glaubhaft sind. Eine mystische Kampagne, die Berge und Herausforderungen symbolisiert, ruft ein Bild hervor, das den Markeninhalt und die Markenkultur stärken könnte. Wird aber nichts davon in der Philosophie der Marke reflektiert, bleibt das Versprechen in der Luft hängen. In diesem Fall scheint es, als setze Ochsner Sport auf das Prinzip, dass Werbung alleine ausreicht, um Produkte „rauszupushen“. Aufgrund seiner finanziellen Grösse kann sich Ochsner auch teure Markenbotschafter leisten. Doch was macht Ochsner Sport damit? Ähnlich, wie andere vermögende Brands werden die besten Athleten mit einem Skript oder Auftrag vor die Kamera gestellt und wissen kaum, wie ihnen geschieht. Wirkt sehr marionettenhaft - eingekauft eben!
Markenidentität ist mehr als ein Logo oder ein kreativer Werbespot – es ist eine Summe aus Werten, Erlebnissen und Überzeugungen, die gemeinsam das authentische Gesicht einer Marke formen. Wenn die Essenz nicht auf allen Ebenen gelebt wird, verfliegt die Wirkung der Werbung. Während Ochsner mit einem emotionalen Spot punktet, fehlt der Marke die ausformulierte und gelebte Identität. Wer eine mystische Reise durch die Berge ankündigt, muss den Geist dieser Berge auch in das Einkaufserlebnis und die Unternehmensphilosophie einfliessen lassen.
Dürftige Philosophie und Markenidentität von Ochsner Sport.
Marken, die nicht alles mit Geld erkaufen können, entwickeln eine konsistente und starke Philosophie, die mit Substanz gefüllt und erlebbar wird. Eine Marke kann im Aussen nur so stark sein, wie sie im Innern ist. Es braucht einen Einklang von Philosophie, Erlebnis und Kommunikation, um eine konsistente, nachhaltige Marke zu schaffen. Wenn das grosse Versprechen nicht nur mystische Bergwelten, sondern auch echten Mehrwert und Identifikation schafft, wird aus einem schönen Spot ein Erlebnis, das nachhallt und am Ende auch Mitarbeitende zu binden vermag. Marken müssen heute mehr sein als eine gut geplante Kampagne – sie müssen Haltung zeigen und eine Persönlichkeit ausstrahlen, mit der sich Kunden und Mitarbeitende identifizieren können.
Kleinere Firmen mit kleineren Marketing-Etats können in diesem Bereich über die Grossen triumphieren und mit wesentlich weniger Geld deutlich höhere Identifikation und Loyalität schaffen.